Freitag, 20. Juli 2012

Religiöse Gebote in Bezug auf Kinder und Erziehung

Die Debatte um die Beschneidung von jüdischen (und teilweise auch muslimischen) Jungen ist momentan Thema allerorten. Die Aufregung ist groß, von einer neuen Judenfeindlichkeit wird gesprochen und ganz üble Parallelen gezogen.

Anlass ist ein Gerichtsurteil, dass das Recht von Kindern auf körperliche Unversehrtheit höher bewertet als die Religions- und Erziehungsfreiheit der Eltern. Wird nun angenommen, wie es wohl auch eine breite Mehrheit im Bundestag vorhat (trotzdem die Bevölkerung da eher uneins ist), dass die Bewertung umgekehrt zu erfolgen hat, also die körperliche Unversehrtheit von Kindern der Religions- und Erziehungsfreiheit nachrangig ist, so ergeben sich meines Erachtens einige ganz interessante eklige Vorstellungen:

So sagt die Bibel:
Wenn ein Mann einen störrischen und widerspenstigen Sohn hat, der nicht auf die Stimme seines Vaters und seiner Mutter hört, und wenn sie ihn züchtigen und er trotzdem nicht auf sie hört, dann sollen Vater und Mutter ihn packen, vor die Ältesten der Stadt und die Torversammlung des Ortes führen und zu den Ältesten der Stadt sagen: Unser Sohn hier ist störrisch und widerspenstig, er hört nicht auf unsere Stimme, er ist ein Verschwender und Trinker. Dann sollen alle Männer der Stadt ihn steinigen und er soll sterben. Du sollst das Böse aus deiner Mitte wegschaffen. (Dtn 21,18-21) 
Also, wenn Schläge nicht helfen, dann steinigen alle Männer der Stadt den Sohn.

Oder hier:
Wen der Herr liebt, den züchtigt er, / wie ein Vater seinen Sohn, den er gern hat. (Spr 3,12)
Oder hier:
Wer die Rute spart, hasst seinen Sohn, / wer ihn liebt, nimmt ihn früh in Zucht. (Spr 13,24)
Oder hier:
Züchtige deinen Sohn, solange noch Hoffnung ist, / doch lass dich nicht hinreißen, ihn zu töten. (Spr 19,18)
Immerhin nicht töten, ist doch schonmal was. Ich habe noch welche:
Wie Musik zur Trauer ist eine Rede zur falschen Zeit, / Schläge und Zucht aber zeugen stets von Weisheit. (Sir 22,6)
Bisher alles Altes Testament. Vielleicht ist das neue das besser?
Mein Sohn, verachte nicht die Zucht des Herrn, / verzage nicht, wenn er dich zurechtweist. Denn wen der Herr liebt, den züchtigt er; / er schlägt mit der Rute jeden Sohn, den er gern hat. Haltet aus, wenn ihr gezüchtigt werdet. Gott behandelt euch wie Söhne. Denn wo ist ein Sohn, den sein Vater nicht züchtigt? Würdet ihr nicht gezüchtigt, wie es doch bisher allen ergangen ist, dann wäret ihr nicht wirklich seine Kinder, ihr wäret nicht seine Söhne. Ferner: An unseren leiblichen Vätern hatten wir harte Erzieher und wir achteten sie. Sollen wir uns dann nicht erst recht dem Vater der Geister unterwerfen und so das Leben haben? (Hebr 12,5-9)
Wohl nicht. :-(
Jede Züchtigung scheint zwar für den Augenblick nicht Freude zu bringen, sondern Schmerz; später aber schenkt sie denen, die durch diese Schule gegangen sind, als Frucht den Frieden und die Gerechtigkeit. (Hebr 12,11)
Naja, ich geb's auf.

Natürlich weiß ich, dass die Bibel, gerade im Neuen Testament, an zahlreichen Stellen gute Ansätze hat, auch und gerade was die Erziehung und die Gewaltlosigkeit angeht, dass die Liebe an erster Stelle steht. Hier (wie an anderen Stellen) widersprechen sich die Gebote der heiligen Schriften, und da ist die Bibel und das Christentum keine Ausnahme, sondern in guter Gesellschaft mit anderen heiligen Schriften.
Daher meine ich: Heilige Schriften, Glaubensgrundsätze und religiöse Überzeugungen sind gute Helfer und Richtlinien, die einen persönlich (auch mit einer persönlichen Auswahl und Interpretation) guten Rat bieten können und die an vielen Stellen viel Weisheit und Wahrheit enthalten. Es gibt aber grundlegende Rechte, zu denen ich beispielsweise die Menschenrechte zähle. Diese beinhalten:

  • das Recht auf körperliche Unversehrtheit,
  • den Schutz vor Körper- und Prügelstrafen und
  • die Abschaffung der Züchtigung in Erziehung und Schule.
Diesen Rahmen muss man einhalten. Das hat das Gericht zu Recht gesehen und der Bundestag tut sich keinen Gefallen, hier eine Ausnahme, gewissermaßen einen Präzedenzfall zu schaffen, auf den sich im Zweifelsfall auch Mädchenbeschneider oder Leute berufen, die die Prügelstrafe in der Kindeserziehung gerne wieder etablieren möchten.

Donnerstag, 19. April 2012

Meinungsfreiheit


Ich glaube, dass die Meinungsfreiheit eines der höchsten Güter ist, die wir haben. Ich glaube sogar, dass die Meinungsfreiheit höher wiegt als das Recht von Religionen, nicht verunglimpft zu werden, als das Recht der Opfer des Nationalsozialismus, nicht verleugnet zu werden und als das Recht der großen Mehrheit, vor einer Minderheit kein dummes Geschwätz hören zu müssen.

Ich halte nicht viel davon, die NPD zu verbieten, weil ich nicht glaube, dass sie sich durchsetzen wird und weil ich allerdings glaube, dass in der NPD organisierte und meinetwegen hier und da mit ein paar Abgeordneten im Parlament lächerlich gemachte Nazis weit weniger gefährlich sind als kriminalisierte und kriminelle Untergrund-Nazis. Ich glaube auch, dass Nazis nicht per se aus der Piratenpartei (oder einer anderen) ausgeschlossen werden sollten, weil ich auch hier nicht glaube, dass sie sich jemals mit ihren dummen Ideen durchsetzen werden und weil ich glaube, dass sie vielleicht auch mal gute Ideen haben können.

Auch Nazis sind Menschen. Sie haben Rechte, sie haben gute und dumme Ideen. Solange wir die Grundvoraussetzung für Demokratie, dass die Mehrheit schon nicht ganz falsch liegen kann, noch für gültig erachten, sollten wir uns auch darauf verlassen. Ansonsten sind wir reichlich unglaubwürdig. Sie wie Menschen zu behandeln kann nicht so falsch sein, selbst wenn, das betone ich, sie das nicht erwidern.

Disclaimer, denn ohne geht so ein Blogpost ja wohl nicht: Ich spreche von den Menschen. Ich spreche nicht von den Meinungen selbst. Die Menschen sollen und müssen wir tolerieren und menschlich behandeln. Ihre Meinungen soll und kann man ablehnen, verachten, offen angehen und was auch immer. Denn genau darum geht es bei Demokratie: Dumme Meinungen setzen sich nicht durch, weil genügend Leute sich mit schlaueren Meinungen dagegen durchsetzen. Die Meinungen muss man angehen, nicht die Menschen.

Und erst recht nicht die Menschen, die nur den Umgang mit Nazis kritisieren.

Donnerstag, 5. April 2012

Unterschriftensammlung

Die Piraten sammeln ebenso wie viele andere Parteien aktuell Unterstützungsunterschriften für die Zulassung zur vorgezogenen Landtagswahl in NRW. Dabei gibt es einige formale Vorgaben, die das Sammeln erschweren:
Einerseits sind das die Terminschwierigkeiten: Die Wahl steht kurz bevor, die ausgefüllten und gültigen Formulare müssen bis zum 10.04.2012 um 18:00 Uhr bei der Landeswahlleiterin in Düsseldorf sein. Davor müssen die Formulare aber bestätigt werden, das heißt am Wohnort des Unterzeichners muss bestätigt werden, dass der Unterzeichner das Wahlrecht hat (und das er nur ein Formular unterzeichnet hat). Diese Bestätigung dauert wohl einige Tage bis eine Woche. Dann steht Ostern vor der Tür, wo die Amtsstube geschlossen bleibt und selbst Beamte Eier suchen gehen dürfen. Kurz: Spätestens vor Ostern sollten die eigentliche Unterschriftensammlung beendet sein, um den Ämtern die Gelegenheit zu geben, die Gültigkeit zu bestätigen, um die bestätigten Formulare zu sammeln und zu zählen und um sie dann in Düsseldorf rechtzeitig abzugeben.
Eine zweite Schwierigkeit besteht darin, dass die Formulare zur Sammlung von Unterstützungsunterschriften nicht kopiert werden dürfen, so jedenfalls wurde es der Piratenpartei mitgeteilt.

Für die Landesliste, für die NRW-weit 1000 Unterschriften gesammelt werden mussten, erhielten die Piraten von der Landeswahlleiterin insgesamt 10000 Formulare. Die Sammlung verlief problemlos, die in Bonn im ersten Schwung verteilten 200 Formulare waren meines Wissens bereits wenige Tage nach Ankunft ausgefüllt. Der aktuelle Stand scheint zu sein, dass bereits über 1000 bestätigt worden sind und weitere 1300 bereits gesammelt, aber noch auf eine Bestätigung warten.

Für die Direktkandidaten müssen je Wahlkreis 100 Unterschriften gesammelt werden. Die nötigen Formulare kommen direkt aus den jeweiligen Rathäusern. Im ersten Schwung erhielten die Bonner Piraten jedoch nur 120 Formulare je Wahlkreis. Die waren auch schnell voll gesammelt, meiner Einschätzung nach wäre auch die doppelte Menge in derselben Zeit voll geworden. Gestern morgen kam dann aber die Rückmeldung aus dem Stadthaus, das in beiden Wahlkreisen noch Unterschriften fehlen wurden, es waren wohl mehr als 20 Formulare aus irgendwelchen Gründen ungültig.

Zwar erhielten wir für einen glücklicherweise am selben Tag geplanten Infostand nochmals Formulare für beide Wahlkreise, aber wiederum nur wenige, nämlich 20. Ich habe besagten Infostand bis zum frühen Nachmittag mit betreut. Die Formulare für den Wahlkreis Bonn I waren nach wenigen Stunden alle. Bonn II war bis zum Abend ebenfalls voll gesammelt.

Wenn die Formulare nicht kopiert werden dürfen, warum werden dann so wenige ausgegeben, zumal im zweiten Schwung, nachdem ja schon die Erfahrung gegeben war, dass mehr als ein Fünftel der Formulare ungültig waren? Und warum ist es für andere Parteien offenbar möglich, die Formulare für die Unterstützungsunterschriften auch auf ihrer Homepage zum Download anzubieten?

Ich bin mir recht sicher, dass es der Piratenpartei trotz dieser Hürden gelingt, sowohl mit ihrer Landesliste als auch mit zahlreichen Direktkandidaten in den Wahlkreisen auf dem Wahlzettel Präsenz zu zeigen. Das liegt vor allem daran, dass die Piratenpartei gerade im Fokus des Interesses steht und unser Infostand von selbst Laufkundschaft anzog. Andere Parteien, als Beispiel sei hier die auch im General Anzeiger Bonn erwähnte ÖDP genannt, haben da ganz große Schwierigkeiten, sich aufstellen zu lassen.

Freitag, 9. März 2012

Jungs und Mädchen sind unterschiedlich -oder- Ein Schritt im Gender-Minenfeld

Gerade habe ich auf Welt.de die Zusammenfassung des Besuchs von Marina (@Afelia) bei Beckmann gelesen. Wunderbares Zitat erstmal: "Das Geschlecht gehört ins Bett, nicht in die Politik." Klasse!

Dann fiel mir Marinas Vorschlag ins Auge, Geschlechterunterschiede lägen hauptsächlich an der Erziehung und man möge doch Jungs auch mal mit Puppen und Mädchen auch mal mit dem Computer spielen lassen. Ich habe da eine andere Ansicht. Die ist nicht wissenschaftlich untermauert oder so, sondern rein aus meiner ganz eigenen Lebenserfahrung und entsprechend subjektiv und kritisierbar, also tut Euch keinen Zwang an.

Ich habe eine viereinhalbjährige Tochter und einen bald zweijährigen Sohn. Wir haben keinen besonderen Wert auf die geschlechtliche Bedeutung bei der Auswahl der Spielzeuge und Kleidung für unsere Kinder gelegt, mit anderen Worten: Weil wir nicht explizit darauf geachtet haben, dass unsere Tochter nicht nur rosa Puppen, Puppenwagen und so weiter bekommt, hat sie mehr Puppen als Autos, will als Ausmalbilder Prinzessinnen und Meerjungfrauen und lässt sich von mir nicht dazu überreden, auch mal Autos, Feuerwehrmänner, Ritter oder dergleichen auszumalen. Hin und wieder versuche ich das, mehr spaßeshalber und um ihr die Möglichkeit zu geben, auch andere Interessen auszukundschaften. Sie will das aber nicht.

Sie spielt Hochzeit, malt Prinzessinnen und trägt gern rosa Kleider. Sie könnte auch mit Telefonen, Murmelbahnen, Autos oder dergleichen spielen, Burgen malen und Latzhosen tragen. Will sie aber nicht. Das mag nun an unserer Erziehung liegen, das kann ich nicht ausschließen. Ich betone hier aber, dass sie durchaus auch geschlechtsneutrale und 'jungentypische' Spielsachen und Anziehsachen hat und damit spielen könnte. Sie mag aber eher mädchentypische Sachen und weil man schenkt, was ihr Freude macht und womit sie viel spielt, hat sie davon natürlich auch mehr.

Dann kam unser Sohn auf die Welt. Wir haben für ihn kaum Klamotten gekauft. Meine Frau hat zwar die rosa Sachen (und die Kleider) aussortiert, aber wir hatten von unserer Tochter noch genug Anziehsachen. Auch Spielsachen gab es für ihn relativ wenig neu.

Seit er gern Bilderbücher guckt, ist sein absolutes Lieblingsbuch "Mein erstes Auto" (oder so ähnlich). Eines seiner ersten Wörter war "Augo" mit der Bedeutung "Auto" (oder "Flugzeug" oder "Zug" oder "Fahrzeug" oder noch einiges anderes ;-) ). Er spielte als erstes, noch bevor wir ihm eigene Autos gekauft haben, mit den Autos seiner größeren Schwester, mit denen die nur sehr selten spielen mag. Er nimmt gern Sachen auseinander und spielt auch mit dem rosa Puppenwagen von seiner Schwester. Bei ihr ist das aber ein Spiel mit der Puppe, bei ihm ganz eindeutig das Fahren, was er mag. Egal, was er da herumkutschiert, er schiebt den Wagen immer wieder um den Tisch herum und herum.

Das ist eine Einzelerfahrung, ich weiß. Das ist weder repräsentativ noch wissenschaftlich. Aber seit mein Sohn so deutliche eher jungentypische Vorlieben hat, obwohl er mit mädchentypischem Spielzeug großgeworden ist, halte ich selbst nicht mehr so viel davon, Männer und Frauen in möglichst vielen Eigenschaften gleichzusetzen. Die Geschlechter unterscheiden sich eben nicht nur biologisch, sondern auch psychologisch, haben unterschiedliche Begabungen und Vorlieben und auch unterschiedliche Verhaltensweisen. Davon gehe ich zumindest aus. Unter diesen Gesichtspunkten wird bei mir bei der Feststellung, wie wenig Frauen in Politik und Wirtschaft in Führungspositionen sind, viel zu wenig auf das 'Warum' eingegangen.

Ich glaube, dass zur Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern noch einiges fehlt und im Argen liegt. Ich glaube aber auch, dass ein großer Teil der Diskussion, die wir führen, nicht mehr zielführend ist, weil 'Gleichberechtigung' zu sehr mit 'Gleichheit' und 'Gleichverteilung' identifiziert wird.

P.S.: Ich war übrigens bisher zu 75-80% der Hausmann in unserer Familie, weil meine Frau seit der Geburt unserer Tochter mindestens eine Dreiviertelstelle im Krankenhaus, also inklusive mehreren 24h-Diensten pro Monat, gearbeitet hat - unterbrochen nur durch die Geburt von unserem Sohn.

Dienstag, 21. Februar 2012

Schon wieder dagegen?


Hm, ich gewinne von den Piraten manchmal den Eindruck einer Dagegen-Partei. Gauck war vor zwei Jahren nicht piratiger als heute. Vielleicht hat er ein paar der kritisierten Meinungen erst während Wulffs Präsidentschaft gezeigt, aber ich sehe noch kein Indiz dafür, dass Gauck sich grundsätzlich verändert hätte.

Warum also stellt sich die Piratenbasis (gefühlt) breit gegen Gauck, wo sie doch vor zwei Jahren (gefühlt) breit für Gauck war? Ich habe da eine ganz persönliche Theorie: Es liegt daran, dass Wulff vor zwei Jahren der Kandidat der CDU und FDP war und große Aussichten darauf hatte, von Merkel durchgedrückt zu werden. Heute ist es Gauck, der von FDP et al ohne realistischen Gegenkandidaten 'durchgedrückt' wird.

Der Reflex der Piraten ist dann, so meine Interpretation, genau hinzuschauen. Wohlgemerkt, vor zwei Jahren hat die Menge der Leute Gauck offenbar nicht so genau durchleuchtet, wenn ich mir die Kritik anschaue, die er jetzt einstecken muss. Warum nicht? Vor zwei Jahren wäre eine Wahl Gaucks als Sieg der Piraten (und der Netzgemeinde) über die Etablierten empfunden worden. Heute nominieren die Etablierten Gauck selbst. Und die Piraten stehen da. Man kann, man darf ja den Etablierten nicht zustimmen, wo kämen wir denn da hin?

Also wird Gauck durchleuchtet und alles negative gebündelt und man ist gegen ihn, getreu dem Motto "Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern, nichts hindert mich, weiser zu werden." Nur, handeln die Piraten weiser, wenn sie eine Person genauer anschauen und feststellen, dass die wohl doch nicht so dolle ist und wir jetzt schnell die alten Hashtags auspacken müssen, #notmypresident und so? Nein, denn der Fehler von vor zwei Jahren war nicht die Zustimmung zu Gauck sondern der Grund dafür und derselbe Grund zieht nun gegen Gauck.

Man muss Gauck als Präsidenten nicht gut finden, keineswegs. Aber man sollte sich und sein Gewissen mal fragen, warum man ihn vielleicht vor zwei Jahren gut fand. Mich persönlich stört an der ganzen Geschichte ja am meisten, dass Angela Merkel und ein Dutzend Leute oder so bestimmen, wer Bundespräsident wird. Ich meine mich zu erinnern, dass wir dafür eine Bundesversammlung mit über 1000 Leuten haben, die das eigentlich entscheiden soll und die nicht nur abnicken soll, was Frau Merkel sagt.

Freitag, 3. Februar 2012

Warum ich die Entscheidung der SG Presse kritisiere

Die SG Presse hat entschieden, ihre Mailingliste dauerhaft nicht öffentlich zu halten. Gleichzeitig ist aktueller Stand, dass die SG Presse einen Einstellungsstopp verhängt (bekommen?) hat. Am 23.12.2011 kündigte Gefion an, dass die SG Presse wegen des großen Andrangs erstmal niemanden mehr aufnimmt - das war noch vor der Gründung der SG - und kündigte weiterhin einen "festen Ablauf" an, nach dem nach einer "Einarbeitungszeit", die sie mit zwei bis vier Wochen schätzt, neue Mitglieder in die SG aufgenommen werden können. Immerhin hat die SG im letzten Protokoll vom 01.02.2012 tatsächlich angekündigt, zur nächsten Sitzung, wohl geplant am 16.02.2012, tatsächlich neue Mitglieder aufzunehmen. Vom Aufnahmeverfahren war noch nichts zu erfahren bisher. Aus den zwei bis vier Wochen sind nun also fast zwei Monate geworden.

Nach der Entscheidung zur absolut geschlossenen Liste - pardon, man darf blind reinschreiben und sich dann vorstellen, wie die ausgewählten Mitglieder auf das Gelesene reagieren - haben inzwischen zwei Mitglieder die SG verlassen, weil sie die Arbeitsweise nicht mit ihren Idealen in Verbindung bringen können. Ein konsequenter und respektabler, aber leider wenig zielführender Schritt, lautete die Entscheidung der SG doch darauf, dass eine erneute Abstimmung über die Öffentlichkeit der Liste nur dann erfolgt, wenn mindestens 50% der SG-Mitglieder sich dafür aussprechen.

Die Situation ist also die, dass 50% der Mitglieder für eine offene Liste sein müssen. Was genau getan werden muss, um Mitglied zu werden, ist mir unbekannt - die Bereitschaft, unter den genannten Bedingungen mitzuarbeiten, wird nach meiner eigenen Mutmaßung dazugehören. Perfekt, das klingt nach einem sich selbst stabilisierenden System: Man führt mit recht knapper Mehrheit (15 von 33, die zweitbeste Option hatte 12 von 33) Stimmen etwas ein, dass fast von selbst die Mehrheit weiter stabilisiert. Denn inzwischen würde wohl 15 von 31 und 10 von 31 da stehen. Und es ist kaum zu erwarten, dass viele Menschen bereit sind, unter dieser Intransparenz zu arbeiten, wenn sie selbst für die Transparenz einstehen, die die Piraten zur Transparenzpartei gemacht haben. (Googelt mal "Transparenzpartei" oder "Transparenz Partei".)  Und es ist auch nicht zu erwarten, dass das unbekannte Aufnahmeprozedere es Parteimitgliedern erlaubt, Mitglied zu werden, wenn sie nicht aktiv mitarbeiten, also die Intransparenz zumindest tolerieren. Es steht also in Summe nicht zu erwarten, dass sich die Mehrheitsverhältnisse innerhalb der SG groß ändern.

Warum hat die SG Presse der Transparenzpartei derartig intransparenten Methoden verschrieben? Bisher habe ich vier verschiedene Gründe gelesen, die ersten zwei über die NRW-Aktive von einem Mitglied der SG, Stefan, und zwei weitere im Blog der erwähnten Aussteigerin nach der Abstimmung:

1. Andere Parteien forschen uns aus.
Wenn andere Parteien unsere PMs vor der offiziellen Veröffentlichung kennen, können sie meiner Meinung auf drei Arten reagieren:
- Sie könnten auf die Schnelle eine eigene PM rauswerfen, die gezielt unsere Argumente kontert. Aber wenn unsere Argumente gut sind, sind sie schwer zu kontern. Schlimmstenfalls erfordert das eine zweite PM. Immerhin schaffen wir damit schon Aufmerksamkeit für die richtigen Themen.
- Sie könnten unsere gute Arbeit (leicht modifiziert) als eigene PM verkaufen. Was der geübte Journalist spätestens nach entsprechendem Hinweis und dank der offenen Arbeitsweise erkennt und entsprechend kommentiert. Ich fände das übrigens klasse, wenn eine der etablierten Parteien sich so mit unseren Zielen und Argumenten identifiziert, dass sie unsere PMs klauen kann.
- Sie könnte uns ignorieren. Das wäre das schlimmste, was sie tun können, aus meiner Sicht. Aber das hat nix mit der Offenheit der Liste zu tun, sie können ja auch die veröffentlichten PMs ignorieren.

2. Persönliche Daten von Journalisten auf der Liste
Es ist schon verständlich, dass innerhalb der SG Presse mal persönliche Daten, also Name, Kontakt, Arbeitgeber, usw., von Journalisten benutzt werden. Die sollte man natürlich schützen. Beispielsweise, indem man sie gar nicht erst auf einer Mailingliste postet, sondern nur dediziert an diejenigen weitergibt, die sie wissen müssen. Oder zumindest indem man sie in einem extra geschützten Bereich lagert, zu dem nur begrenzte Kreise Zutritt haben. Es gibt meines Erachtens aber keinen Grund, die gesamte Arbeit der SG Presse in diesen Kreis zu packen. Das ist falsch verstandener und missbrauchter Datenschutz.
Im Rahmen dieses Arguments gab es auch die Einschätzung, eine offene ML der SG Presse würde zu ein bis zwei beschädigten Journalistenkarrieren führen. Ich kann mir nicht vorstellen, wie das passieren könnte. Oder sagen wir es anders: Ich kann mir nur solche Szenarien vorstellen, in denen die betreffenden Journalisten zu Recht beruflich Schaden nehmen und die damit gute Gründe für eine offene ML wären.
Für sensible Kontakte, für die es ja gute Gründe gibt und geben kann, können doch dedizierte Strukturen geschaffen werden. Eben damit die Transparenz so wenig wie möglich Schaden nimmt.

3. Trolle machen die Arbeit schwer
Einfach Lösung mit toller Transparenz und ohne Trolle auf der ML: Leserechte für alle, Schreibrechte nur für Mitglieder. (Und ein seperater Inputkanal.) Wer mitarbeiten will, der muss eben Mitglied werden. Aber trotzdem ist die Arbeit transparent.

4. Transparenz ist nicht klar definiert/gilt für Politik, nicht Parteien.
Es mag sein, dass keine allgemeingültige Definition dessen bekannt ist, was die Piratenpartei unter "Transparenz" fordert. Es ist für mich aber eindeutig, dass die Parteien und die Arbeit der Parteien ganz eindeutig unter das Transparenzgebot fallen. Deutschland ist - zumindest noch - eine Parteiendemokratie. Als parteiloser Kandidat hat man nur in seltenen Sonderfällen eine Chance, in ein Parlament auf Landes- oder Bundesebene gewählt zu werden. Der weitaus größte Teil der Abgeordneten wird von den Parteien entsandt. Die Öffentlichkeit muss also darüber informiert werden, wofür die Parteien stehen. Das tun die Medien und sie fußen zu Recht zu einem großen Teil auf die Verlautbarungen der offiziell gewählten Vertreter der Partei - und auf die Pressemitteilungen. Ergo ist die Arbeit der Gruppe, die die Pressemitteilungen einer Partei erstellt, ein wichtiger Teil des politischen Systems in Deutschland - oder jedenfalls so wichtig wie die betreffende Partei. Wenn wir als Piraten etwas ändern wollen - und dazu machen wir doch klar, oder? - dann müssen wir vorleben, was wir von den anderen fordern.

Für mich ist der aktuelle Zustand schwer zu ertragen. Die Intransparenz, die die SG Presse, also eines der exponiertesten Gremien der Piratenpartei, hier zeigt, widerspricht nach meinem Empfinden eklatant den Grundsätzen unter denen ich die Partei bei meinem Beitritt gesehen habe.

Am Rande: Ich werde diese Geschehnisse nicht Pressegate oder dergleichen nennen. Ich empfinde sie als deutlich schlimmer als die meisten der mir bekannten -gates.

Donnerstag, 19. Januar 2012

Leserbrief: Falsch eingeordnet


Hintergrund: Ein Artikel in der Druckversion des General-Anzeigers weckte heute meine Aufmerksamkeit. (Online ist er auch zu finden, allerdings bei einer anderen Zeitung: Der Freien Presse.) Die Einordnung, die der General-Anzeiger (und auch die Freie Presse) vornehmen, ist dabei bezeichnend: Statt den Protest von zahlreichen Webseiten, darunter eben auch mehreren Parteien (Grüne, Piraten, übrigens auch JuLis), kommentiert unter anderem von Frau Leutheusser-Schnarrenberger, gegen ein Gesetz in den USA (und am Rande auch entsprechende Vorhaben in Europa (ACTA), unter Politik einzuordnen, wo es meines Erachtens hingehört - oder doch wenigstens zu Computer & Technik - kam es in die Rubrik "Panorama". Panorama bedeutet Rundblick. In Ermangelung an Verständnis kippten die Redaktionen den Artikel also in die Reste-Abteilung. Hier mein Leserbrief dazu.

Es ist schön, in den "alten" Medien aktuelles zu den Geschehnissen der Online-Welt zu lesen. Daher habe ich heute morgen auch interessiert den Artikel von Daniel Bouhs gelesen. Schade, dass der Artikel, der den Protest gegen ein Gesetzgebungsverfahren zum Inhalt hat, unter 'Panorama' zu finden war, nicht unter 'Politik'. Hier fehlt offenbar das Verständnis dafür, welche Bedeutung SOPA/PIPA und die Proteste dagegen haben. Es sind politische Proteste und sie einzuordnen neben der Meldung vom Beginn einer Modewoche, den Kurznachrichten und der Rubrik "Leute Heute" macht das fehlende Verständnis offenkundig. 
Zudem greift die Darstellung der Kritik zu kurz. Im Artikel heißt es "Die Kritik: Es wird nicht die Ursache bekämpft, sondern das Problem lediglich versteckt." Gerade bei SOPA/PIPA geht die Kritik aber noch deutlich weiter als bis zur Wirksamkeit des Gesetzes, die Nebenwirkungen sind das Problem: Die Sperrung von Wikipedia, weil ein Nutzer einen Zeitungsartikel eingestellt hat, die Sperrung von Youtube, weil ein Urlaubsvideo mit Musik unterlegt wurde und Vergleichbares sind mit PIPA/SOPA möglich und dagegen richtet sich der Protest.

Freitag, 6. Januar 2012

Short - Handschlagqualität


Hätte ich doch nur das Selbstbewusstsein und Rückgrat eines Wulff - ich hätte rund zwei Wochen früher einziehen können in mein neues Haus und nicht den schriftlichen Vertrag abgewartet - direkt nach der mündlichen Zusage des Finanzberaters.*



*Und hätte derbe auf die Nase fallen können, da sich die Bank auf Grund eines Missverständnisses in ihrer ersten, mündlichen Zusage vertan hatte!

Donnerstag, 5. Januar 2012

Wulff - eine persönliche Chronologie

Hier eine ganz persönliche Chronologie der Ereignisse um Christian Wulff als Bundespräsident:

vor dem 31.05.2010
Wulff ist für mich ein quasi Unbekannter. Klar, Ministerpräsident, aber nicht auf meinem Aufmerksamkeitsradar. Die Flugticketaffäre war da mal, aber das fand ich nicht so dramatisch. Ehrlich gesagt finde ich, dass so ein Ausrutscher mal passieren kann. Ich glaube auch nicht, dass es für Wulff jetzt so ein Riesenunterschied ist, ob er die paar Hundert Euro für die Aufstufung nun bezahlt oder nicht.

vor dem 30.06.2010
Gauck und Wulff sind nominiert, und noch so eine Linke. In meiner persönlichen öffentlichen Wahrnehmung ist Gauck der von der Bevölkerung mit großer Mehrheit gewünschte Präsident, Wulff dagegen ist der von Angela Merkel mit großer Mehrheit gewünschte Präsident. Für mich ist Wulff der bequeme Parteisoldat, der der Regierung nicht reinreden wird und Gauck der neutrale Kritiker. In den Medien heißt es vermehrt, die Wahl seine eine Probe für die Bundeskanzlerin und würde ihr Kandidat nicht gewählt, falle auch die Regierung. Entsprechend argwöhnig wird auf mögliche Abweichler geschaut, die Rede ist von Fraktionszwang und Gewissensfreiheit.

30.06.2010
Wulff wird im dritten Wahlgang gewählt. Enttäuschung bei mir, aber nun gut, was will man machen. Hin und wieder bessert das Amt den Inhaber ja. Bei Wulffs Karriere unwahrscheinlich, aber einen gewissen Vertrauensvorschuß sollte ein Bundespräsident bekommen.

03.10.2010
In einer Rede zum Tag der Deutschen Einheit sagt Wulff, der Islam gehöre inzwischen auch zu Deutschland. Er erntet für das Statement in meinen Augen eine Menge Kritik, auch und insbesondere aus der CDU/CSU. Mir wird er dafür etwas sympathischer. Welche andere Aussage könnte man treffen? Der Islam gehört nicht zu Deutschland. DAS wäre mal ein Skandal gewesen! So betrachtet ist die Aussage des Bundespräsidenten völlig harmlos, die Reaktionen darauf offenbaren aber die rechtsgerichtete Meinung in der Bevölkerung.

Ich kann mich für den Zeitraum danach kaum noch an Herrn Wulff erinnern. Er ist für mich ein stiller, schweigender Präsident. Wikipedia nennt noch mehrere Erwähnungen des Themas "Islam" und "Integration".

03.10.2011
Beim Deutschlandfest in Bonn besuche ich mit meinen Kindern auch die Villa Hammerschmidt und das dort stattfindende Kinderfest, wo wir auch Herrn und Frau Wulff sehen. Mein persönlicher Eindruck des Ehepaars Wulff ist der einer erfolgsorientierten Frau, die sich bewusst in der Öffentlichkeit präsentiert. Was nicht unbedingt negativ ist. Übrigens finde ich Wulffs Vergangenheit, was seine Scheidung und so weiter angeht, völlig unwichtig.

13.12.2011
Auf Twitter steigt die Geschichte auf, Wulff habe einen Privatkredit bei einer Frage nach Geschäftsbeziehungen verschwiegen. Ich fand die ganze Affäre erstmal übertrieben. Niemand stellte in Frage, dass Geerkens und Wulff langjährige Freunde waren. Warum sollten sich Freunde kein freundschaftliches Darlehen geben? Selbst wenn eine der beteiligten Personen Bundespräsident oder Ministerpräsident ist. Ich sah auch nicht, inwieweit Geerkens aus der Freundschaft mit Wulff irgendwelche geschäftlichen Vorteile zog. Insgesamt war meine Zwischenbilanz: Wulff hatte einen Vorteil durch ein zinsgünstiges Darlehen, aber da keine Gegenleistung erbracht würde, kann man kaum von Bestechung sprechen.

Bei meinen Erwiderungen online, die Affäre werde heißer gekocht als sie eigentlich sei, wird mir von Flugreisen von Wulff berichtet, auf die er Geerkens als Teil der Wirtschaftsdelegation mitgenommen habe. Das gibt der ganzen Geschichte zwar ein kleines "Geschmäckle", aber ich sah noch nicht, welchen wirtschaftlichen Vorteil das für Geerkens haben soll. Er bekam durch seine 'Reisegruppe' einen gewissen Einfluss und vielleicht hat ihm das Geschäftsabschlüsse gebracht. Aber außer irgendwelchen kühnen Behauptungen auf Twitter, solche Reise ergäben Abschlüsse über Millionenverträge, würde darüber nie groß berichtet.

18.12.2011
Wulff will alles offenlegen und transparent machen. (Schon die Ankündigung stimmt misstrauisch.) Er legt dann zunächst mal offen, dass er bei seinen Freunden auch Urlaub gemacht hat. OK, harmlos. Warum legt er DAS jetzt offen? Gab es da irgendwelche Vorwürfe? Oder will er entsprechende Vorwürfe provozieren, um danach sagen zu können, wie schlimm doch die Angreifer sind, dass sie ihm wegen Übernachtungen bei Freunden Vorwürfe machen. (Später passiert genau das!)

22.12.2011
Der Sprecher des Bundespräsidenten, Olaf Glaeseke, wird entlassen. Wegen einer Affäre, irgendeine Nord-Süd-Dialog-Geschichte, die ich nicht verstehe, deren Zusammenhang mit der Wulff-Affäre ich nicht verstehe. Aber ich gewinne persönlich den Eindruck, dass hier entweder ein Bauernopfer gemacht wird - Glaeseke wird die Verantwortung für Fehler zugeschoben, um von Wulff abzulenken - oder Doppelmoral herrscht - Glaeseke wird für Verhaltensweisen entlassen, die Wulff selbst zeigt. Als Sprecher ist er so unhaltbar, als Bundespräsident aber soll so einer haltbar sein?

Gleichzeitig werden einige Details zu den Krediten bekannt, die das private Darlehen von Frau Geerkens abgelöst haben. Ein rollierendes Geldmarktdarlehen mit Traumzinsen? Nie davon gehört. Warum kommt Wulff an Traumzinsen, schon wieder? Ich habe selbst gerade finanziert und habe viel verglichen und frage mich daher, warum Wulff von einer Bank Traumzinsen bekommen kann. Meine Meinung schwingt irgendwann hiernach um und ich halte einen Rücktritt von Wulff für nötig.

01.01.2012
Wulff soll Bild-Chef Kai Diekmann am Telefon heftig dazu gedrängt haben, den Artikel nicht zu veröffentlichen. Von einem endgültigen Bruch war die Rede, vom Rubikon und von Krieg. Dass sich Wulff da mal nicht überschätzt, denke ich, und bin ein bisschen traurig, dass ich der BILD mehr Einfluss auf Deutschland zutraue als dem Bundespräsidenten. Per BILDblog erfahre ich, was da endgültig zu Bruch geht: Wulff und die BILD verbindet auch eine gute Freundschaft. Wulff spielte der BILD offenbar regelmäßig private Details zu, dafür berichtete BILD über diese Details sehr vorteilhaft. Beispiel Scheidung: Wo die BILD sonst dafür bekannt ist, auf pikanten Details lang und breit herumzureiten, wie dem Altersunterschied zwischen der ersten und der zweiten Frau Wulff, lässt sie Herrn Wulff weitgehend in Frieden.

02.02.2012
Die Beteuerung, die Pressefreiheit sei für den Bundespräsidenten ein hohes Gut, und die Entschuldigung bei Herrn Diekmann werden überschattet von dem Bekanntwerden der versuchten Einflussnahme auf die Welt am Sonntag früher in 2011, inklusive Drohungen mit Konsequenzen auf verschiedenen Ebenen und die Einbestellung des Redakteurs. Spätestens ab hier ist Wulff untragbar. Der Anruf bei Diekmann mit der Drohung des Beendigung eines sehr speziellen Verhältnisses ist eine Sache, immerhin ist das Verhältnis von Anfang nicht gerade ein Beispiel für tollen Journalismus. Da hätte Wulff herauskommen können, z.B. indem er betont, wie die BILD ihn in das Verhältnis gezwungen habe, indem er Beispiele nennt, wie die BILD Einfluss nimmt und einseitig und kampagnenhaft berichtet. Er hätte für die Freiheit einer guten Presse und die Meinungsfreiheit aufzeigen können, dass auch die Presse eine Gefahr sein kann, der man aber nicht mit Verboten oder Drohungen beikommen kann, sondern mit einer aufgeklärten Gesellschaft und persönlichen Schutzrechten, die auch wirksam sind. Dass er aber schon zuvor auf die Welt versucht hat, Einfluss zu nehmen, und dabei auch mit rechtlichen Maßnahmen seines Amts droht, disqualifiziert ihn als Verfechter der Pressefreiheit. Wie kann er aber Bundespräsident und damit erster - wenn auch nicht oberster und letzter - Verteidiger des Grundgesetzes und der Grundrechte sein, wenn er sie selbst nicht konsequent achtet?


04.01.2012
Wulff gibt der ARD und dem ZDF ein Interview. Darin verteidigt er sich und sein Verhalten. Meine zentralen Probleme mit dem, was er sagt:

  • "Ich musste ja auch einen Lernprozess machen. Ich bin vom Ministerpräsidenten zum Bundespräsidenten ja sehr schnell gekommen, ohne Karenzzeit, ohne Vorbereitungszeit, das ging sehr schnell." - Im Sommer 2011 war Wulff nicht neu im Amt. Im Dezember 2011 erst recht nicht.
  • "Ich habe nicht versucht, sie [die Berichterstattung] zu verhindern." - Das sieht der stellvertretende Chefredakteur der BILD anders. Und es klingt auch im Fall Welt am Sonntag anders, wenn dort auf zahlreichen Ebenen interveniert wird.
  • "Letztlich gibt es natürlich auch Persönlichkeitsrechte, es gibt auch Menschenrechte selbst für Bundespräsidenten und auch deren Freunde, deren Angehörige, und ich möchte nicht Präsident in einem Land sein, wo sich jemand von Freunden kein Geld mehr leihen kann." - Ist schon viel gesagt worden, aber ein Privatkredit durch Freunde ist KEIN Menschenrecht. Fragt einfach mal Hartz IV Empfänger.
  • "Und ich glaube auch, vor drei Wochen wäre über die ersten anderthalb Jahre ein gutes Urteil ausgefallen." - Es geht so, nein, eigentlich nicht. Er war, wie geschrieben, auch vor der Affäre ein sehr leiser, bequemer Bundespräsident. Ich wünsche mir aber einen mit Ideal, ein Gewissen in der Regierung. Der Bundespräsident sollte wie ein Gewissen sein: Er kann vielleicht nicht direkt entscheiden, vielleicht nicht verhindern oder verbessern, aber er kann aufzeigen, bekannt machen und sagen, was schlecht und falsch läuft. Das habe ich bei Herrn Wulff - ganz unabhängig von seinen Affären - vermisst.