Freitag, 30. Dezember 2011

Traue keiner Statistik...

..., die Du nicht selbst gefälscht interpretiert hast. Ich habe mir mal wieder den Ungefallen getan und mich mit den Aussagen von Herrn Dr. Stephan Eisel beschäftigt. Dabei ist mir aufgefallen, dass Dr. Eisel des öfteren aus einer Umfrage der Bertelsmann-Stiftung zitiert.

Die Frage in der Umfrage war offenbar - den Fragebogen konnte ich mir nicht ansehen - ob man an X bereits teilgenommen habe, ob eine Teilnahme in Frage komme oder ob eine Teilnahme nicht in Frage komme. Erste beiden Antworten würden als positive Antwort auf die Frage zusammengefasst. Zusätzlich gab es wohl drei Ja/Nein-Fragen: "Wünschen Sie sich mehr Beteiligungsmöglichkeiten für die Bürger?", "Wären Sie bereit, sich über Wahlen hinaus an politischen Prozessen zu beteiligen?" und "Glauben Sie, dass die Politiker grundsätzlich mehr Mitbestimmung durch die Bürger wollen?"

Mein persönlicher Eindruck ist der, dass Herr Dr. Eisel aus den Zahlen der Umfrage eben solche Werte 'herauspickt', die er für seine persönlichen Überzeugungen gerade gut gebrauchen kann und andere nicht erwähnt. So wird der ausgesprochene Wunsch nach mehr Beteiligungsmöglichkeiten (81%) von ihm nicht prominent platziert, das Ergebnis auf die Frage nach Beteiligung an Wahlen (94%) jedoch prominent in mehreren Blogbeiträgen auf Twitter und auch in zahlreichen Kommentaren wieder und wieder als scheinbare Bestätigung des aktuellen politischen Systems der repräsentativen Demokratie genannt. Eine solch einseitige Betrachtung der Zahlen kann natürlich auch in die andere Richtung erfolgen, das möchte ich hier versuchen. Mit Ankündigung, das ist mir wichtig, und als advocatus diaboli, auch das ist mir wichtig, werde ich jetzt also auswählend und interpretierend die nackten Zahlen der Statistik zur Untermauerung meiner These nutzen, dass die repräsentative Demokratie ausgedient hat:

Die Umfrage der Bertelsmann-Stiftung zeigt deutlich, dass die repräsentative Demokratie zumindest in der in Deutschland vertretenen Form einer auf Parteien basierten parlamentarischen Demokratie ausgedient hat und die Bevölkerung nicht mehr angemessen vertritt. Obwohl sich 81% der Bürger Beteiligungsmöglichkeiten wünschen die über die reine Teilnahme an Wahlen hinausgeht, ist nur ein kleiner Teil, nämlich 30% bzw. 33%, davon bereit, durch Mitgliedschaft oder Mitarbeit ohne Mitgliedschaft an der Parteiarbeit mitzuwirken. Auch ein auf kommunaler Ebene übliches Mittel der Beteiligung, der sachkundige Bürger, kommt auf eine sehr geringe Zustimmung, nur 27%. Alternative Möglichkeiten, besser an den politischen Entscheidungen beteiligt zu werden, zeigen eine hohe Beliebtheit: 78% der Bürger können sich vorstellen, an Volksentscheiden oder Bürgerbegehren teilzunehmen, die es in unserer Bundespolitik so nicht gibt. Mit 51% immerhin gut die Hälfte aller Bürger können sich gut vorstellen, zu bestimmten Themen auch direkt über Internetabstimmungen an der Entscheidung beteiligt zu werden. Vorhandene Vorbehalte über die technische Sicherheit und die Zugänglichkeit solcher Beteiligungsmöglichkeiten mögen den Wert noch moderat halten.

Fazit: Möglicherweise werden in der öffentlichen Diskussion traditionelle Formen der Meinungsbildung und Bürgerbeteiligung durch Parteien überschätzt. Offensichtlich sind diese Formen der Beteiligungsmöglichkeit nur für eine qualifizierte Minderheit begehrt.

Samstag, 17. Dezember 2011

Das Menschenbild und das BGE

An dieser Stelle legt Logos seine Ansichten über das BGE und das ihm zu Grunde liegende Menschenbild dar. Ich möchte mich hier an einer Erwiderung versuchen.

Logos schreibt lang und zahlreich darüber, dass 'der Mensch' nicht so gut sei, wie viele BGE-Befürworter es anscheinend vermuten. Er nennt "Heerscharen von Lügnern, Erpressern, Betrügern, Entführern, Missbrauchern, Vergewaltigern, Berufskriminellen, Mördern und Psychopathen" als Hinweis auf eine Realität.


Weiterhin erörtert er, dass sich nicht jeder sich allein auf Grund einer Nützlichkeit für die Gesellschaft motivieren kann und viele Personen auch destruktiv tätig sind. Er behauptet weiterhin, der Anteil derjenigen, die  "nicht die Spur Bock auf Arbeit haben", sei nicht vernachlässigbar.


Später kommt er darauf zu sprechen, dass die unterstellten vielen ehrenamtlichen Tätigkeiten negative Effekte auf den Arbeitsmarkt hätte, vergleichbar mit 1€-Jobs. Zuletzt analysiert er in einem Absatz die Gründe für das Scheitern des Kommunismus in der DDR und dem Ostblock, wobei er einen Zusammenhang zum BGE schuldig bleibt - von einem unterstellt ähnlichen Menschenbild des Kommunismus und 'des BGE' einmal abgesehen.


Ich möchte zunächst auf den letzten Absatz eingehen: Meiner Meinung nach ist das BGE so ziemlich das Gegenteil des Kommunismus und eine zutiefst kapitalistische Idee. Denn das BGE macht mitnichten alles gleich, es betont im Gegenteil die Unterschiede und ermöglicht erst wieder eine gerechte, kapitalistische Bewertung von Arbeit und Leistung. Das BGE und der Kommunismus setzen auch, meiner Meinung nach, diametral verschiedene Menschenbilder voraus. Während der Kommunismus von eben jener intrinsischen Motivation 'des Menschen', Gutes für die Gesellschaft zu schaffen, ausgeht, die Logos teilweise beschreibt und von der er darlegt, dass sie nicht zutreffe, geht das BGE zwar von einer gewissen sozialen Motivation 'des Menschen' aus, aber auch und gerade vom Streben nach Besitz, von der Gier nach Luxus und von einem (gerechten) Lohn einer geleisteten Arbeit.


Das BGE zielt auch nicht darauf ab, bezahlte Arbeit durch unbezahlte zu ersetzen, sondern es will, so sehe ich das, den Lohn für die Arbeit auch davon abhängig machen, wie ungerne der Arbeitende die Arbeit verrichtet. Das mag dazu führen das einzelne Tätigkeiten tatsächlich nur noch unbezahlt verrichtet werden, aber eben auch nur, wenn sich genügend Leute finden, für die die Tätigkeit allein Lohn genug ist und die dafür sogar auf den Luxus verzichten, der mit bezahlter Arbeit einhergeht. Ich gehe hier einfach mal davon aus, dass die Anzahl solcher 'Gutmenschen' und solcher 'Traumjobs' sehr gering ist und ihre Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt vernachlässigbar.


Die Annahme, dass der Anteil derjenigen, die keinerlei Arbeit mehr verrichten wollen, wenn für ihr Auskommen bedingungslos gesorgt ist, nicht vernachlässigbar ist, halte ich für übereilt. Wir haben aktuell offizielle Arbeitslosenzahlen von 6,4%. 2007, neuer Statistiken habe ich nicht gefunden, hatten wir eine Unterbeschäftigtenquote von 11,8%, d.h. 11,8% der Erwerbstätigen waren nicht voll beschäftigt obwohl sie gerne mehr arbeiten möchten. In der Arbeitslosenstatistik fehlen bekanntermaßen auch einige Gruppen, die ebenfalls nicht erwerbstätig sind, beispielsweise diejenigen, die sich in Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen befinden, erwähnte 1€-Jobber oder ältere Erwerbslose ab 58 Jahren. Für mich ergibt sich das Bild, das schon jetzt ein eklatanter Anteil der Arbeitskraft in Deutschland nicht von Industrie und Wirtschaft genutzt wird, was offensichtlich an der mangelnden Nachfrage der Industrie und Wirtschaft nach Arbeitskraft liegt und nicht an der unterstellt hohen Zahl der "Sozialschmarotzer".


Ich teile Logos Ansicht, dass nicht alle Menschen in Deutschland mit Einführung des BGE eine unbezahlte soziale Arbeit annehmen werden. Ich glaube sogar, dass ein großer Teil der Menschen selbstsüchtig und profitorientiert nur gegen entsprechend großzügige Entlohnung arbeiten werden - so interpretiere ich einfach mal sehr frei seine Verwendung des Wortes "destruktiv". Der Schluß ist für mich jedoch der umgekehrte: Das BGE ermöglicht es doch gerade erst, dass der - unterstellt kleine - Anteil der 'Gutmenschen' kostenlose Sozialarbeit erbringt und trotzdem Teil haben kann. Auch der Anteil der 'Sozialschmarotzer', der keinerlei nützliche Gegenleistung erbringt, darf Teil haben. Und diejenigen - ich unterstelle genau hier die große Mehrheit - der Menschen, die zwar bedingt bereit sind, sich sozial einzubringen, die aber gerne Luxus anhäufen und mehr haben wollen als bloß minimalen Anteil, diejenigen können und werden entgeltlich arbeiten.

Skandale und Skandälchen

Im Moment zieht #esogate durch die Presse: Die Fraktion der Piraten im Berliner Abgeordnetenhaus hat als Fraktionsgeschäftsführerin eine Dame angestellt, die von der Wirkungskraft der Esoterik überzeugt ist und auch dementsprechende Seminare an Jugendliche anbietet.

Unter anderem glaubt und verbreitet sie, unter anderem auch in einem Buch, dass Leute nach einem Flugzeugabsturz nur verhungern, weil sie glauben, dass sie verhungern müssten, oder dass ernsthafte Krankheiten wie Krebs durch reine Geisteskraft heilbar seien, weil sie nur Ausdruck eines seelischen Ungleichgewichts oder so etwas seien. Ich kenne diese Aussagen nur vom Hörensagen, es ist mir auch egal, was die Frau glaubt.

Wenn man ein wenig recherchiert, wird man in der CSU oder CDU sicher Angestellte - gewählte Politiker - finden, die glauben, dass man keine Kondome benutzen sollte. Dass der Papst unfehlbar sei. Und ähnlichen Schund, den man von erzkonservativen Katholiken, jetzt nur mal als Beispiel, halt nun mal erwarten muss.

Wenn jemand derartige Auffassungen politisch aktiv vertritt, wird er für mich automatisch unwählbar. Muss man nun aber seine Angestellten auf diese Überzeugungen hin überprüfen, als politische Partei oder Fraktion? Und ab welchem Überzeugungsgrad ist eine Person nicht mehr als Angestellte der Fraktion tragbar?

In der Diskussion auf Twitter sind mir einige Argumente begegnet:

  1. die Tatsache, dass die Dame damit Geld verdient hat.
  2. die Tatsache, dass die Dame Kinder und Jugendliche anvisierte.
  3. die Tatsache, dass sie geschmacklose Beispiele in ihrem Buch veröffentlicht hat.
  4. die Tatsache, dass ihre Ansichten auf die Gesundheitspolitik Einfluss nehmen könnte.

Ich erwidere darauf:

  1. Wollen wir die Nebentätigkeiten unsere Angestellten in Zukunft nach Moral durchleuchten?
  2. Das tun auch Erzieher in kirchlichen KiTas. Und ja, das ist vergleichbar, denn einige Lehren beispielsweise der katholischen Kirche, sind gefährlich. Müssen wir in Zukunft darauf achten, dass unsere Angestellten keinerlei Beruf hatten, der eine Überzeugung vermittelte?
  3. Wollen wir in Zukunft die Veröffentlichung unserer Angestellten auf Konformität mit unseren Überzeugungen untersuchen?
  4. Das ist der einzige für mich valide Punkt, an dem eine Kritik ansetzen könnte, wäre die Dame denn politisch in der Gesundheitspolitik tätig und nicht als Fraktionsgeschäftsführerin. Eine ihrer ehemaligen Arbeitsstätten war wohl der Posten als Gesundheitsreferentin bei der FDP. Warum haben wir dann jetzt den Skandal? Bei uns organisiert sie - meines Wissens, irre ich mich? - den Büroablauf. Wo dabei ihre privaten Nebentätigkeiten einschränkend eine Rolle spielen, kann ich nicht sehen.
Meines Erachtens vergessen hier einige, dass wir über eine Angestellte der Fraktion reden, die den Entscheidern organisatorisch zuarbeitet. Sie macht keine wissenschaftliche oder politische Arbeit. Und sie ist daher konsequenterweise auch nicht gewählt worden, sondern von der Fraktion angestellt. Daraus einen Skandal zu machen ist absurd.

Mittwoch, 7. Dezember 2011

Alltagssexismus, Vorurteile und Reflektion

In diesem Artikel im Kegelclub beschreiben die Autoren @herrurbach bzw. @acid23 sich selbst als "Alltagssexisten" und benennen einige der Vorurteile, die sie in ihrem Alltag Frauen gegenüber an den Tag legen. Sie nennen einige Beispiele, etwa der Blick auf die Busen und Po oder dass sie bei einem langsam fahrenden Autofahrer zunächst davon ausgehen, es wäre eine Frau. Und sie kommen zu dem Schluss, dass dieses Verhalten sexistisch und falsch ist und dem anderen Geschlecht "einen Teil ihres Menschseins" raube.

Ein längerer Teil des Artikels handelt dann auch darüber, wie sie versuchen, ihr Verhalten zu kontrollieren, aber immer wieder "schnappt das Gummiband zurück". Sie beschreiben, wie sie "in einer sexistischen Umgebung" aufgewachsen seien, in der "die Vorurteile und kleinen Späße [..] kein Problem" waren und auch nicht Gesprächsthema.

Ich habe da etwas andere Ansichten. Sicher, ich zeige dieselben Verhaltensweisen. Ich schaue (schöne, das sind die meisten) Frauen lieber an als Männer, nicht nur im Gesicht. Ich bin einer Frau gegenüber zuvorkommender, freundlicher und offener. Wenn ein Auto mitten im Verkehr den Motor abwürgt, bin ich nicht überrascht, wenn eine Frau am Steuer sitzt. Und auch ich würde einer Frau gegenüber technische Dinge anders erklären als einem Mann. Jeweils unterstellt, dass ich von jemandem rede, den ich noch nicht kenne.

Diese Verhaltensweisen zeige ich bei vielen Unterscheidungsmerkmalen: Beispiel Alter: Ich schaue (schöne, das sind die meisten) junge Menschen lieber an als alte, nicht nur im Gesicht. Wenn eine Auto mitten im Verkehr den Motor abwürgt, bin ich nicht überrascht, wenn ein älterer Mensch am Steuer sitzt. Und auch ich würde einem älteren Menschen gegenüber technische Dinge anders erklären als bei einem jungen Menschen.

Ähnliche Beispiele lassen sich für sehr viele von außen leicht erkennbare Merkmale finden: Herkunft (der äußeren Erscheinung nach), Größe, Gepflegtheit, Automarke, Kleidung, Stadtkürzel des Nummernschilds und so weiter. Die Liste ist endlos. Natürlich ist es ebenso ein Vorurteil, wenn ich jedem Mercedesfahrer unterstelle eine "eingebaute Vorfahrt" zu haben, wie wenn ich bei jedem Fahrer mit SU-Nummernschild von einer rücksichtslosen Fahrweise ausgehe, wenn ich bei einer Person mit sehr kurzen Haaren sofort an Neonazis denke oder wenn ich bei Menschen osteuropäischer Herkunft ohne es zu wollen etwas vorsichtiger bin und vielleicht die Straßenseite wechsle. Bei vorgenannten kurzhaarigen Personen übrigens auch.

Wir brauchen Vorurteile. Wie sonst sollen wir mit jeder Alltagssituation umgehen? Wir können nicht alles und jeden gleich behandeln. Ich meine damit nicht, dass dieses Verhalten aus irgendeinem Grund unpraktisch wäre oder so, sondern dass wir es schlicht und ergreifend nicht können. Menschen werten. Immer. Auch, wenn sie jemanden zum allerersten Mal sehen. Das heißt aber doch automatisch, dass Vorurteile eine Rolle spielen, denn beim allerersten Sehen weiß ich über mein Gegenüber eben nur, was ich sehe. Allein daran kann man kaum eine Fähigkeit oder Charaktereigenschaft zuverlässig bestimmen. Mit anderen Worten: man vorurteilt.

Und ich weiß, dass manche, sogar viele, dieser Vorurteile falsch sind, das heißt, dass eben das ungute Gefühl, dass mich leider bei einem fremden Menschen osteuropäischer Herkunft manchmal beschleicht, irrational und nicht auf belegbaren Fakten begründet ist und eine besondere Vorsicht unnötig und dem Menschen gegenüber verletzend ist. Das muss ich reflektieren und meistens, hoffe ich, gelingt mir das ganz gut und ich wechsle eben nicht die Straßenseite.

Wenn ich mich im Auto mal wieder über Mercedesfahrer aufrege, sehe ich das schon ein bisschen anders. Die Reflektion ist hier einfacher: Ich ändere mein Verhalten gegenüber Mercedesfahrern nicht. Daher ist das Vorurteil schon harmloser und ich muss auch nicht immer daran denken.

Es sind auch nicht alle Vorurteile per se falsch. Auch sie gründen ja, zum Teil, auf Erfahrungen. So haben viele ältere Menschen mehr Probleme mit Technik als jüngere, darum ist es nicht falsch, darauf einzugehen. Wenn man dann mal die Ausnahme von dieser Regel erwischt, ist das vielleicht unangenehm und möglicherweise auch unschön, aber alle Menschen gleich zu behandeln würde das Erklären doch arg erschweren, da man entweder vielen die Dinge zu kompliziert erklärt oder viele mit unnötig ausführlichen Erklärungen langweilt.

Auch die Vorurteile über die Geschlechter sind nicht alle per se falsch. Das zu behaupten wäre realitätsfern. Meiner Meinung nach sind Frauen beispielsweise in der Regel einfühlsamer, offener, als Männer. Sie sind üblicherweise weniger wettbewerbsorientiert, ich würde fremden Frauen zum Beispiel ganz andere Gesellschaftsspiele vorschlagen als Männern. Das sind natürlich Erfahrungswerte und somit auch ein Durchschnitt, das heißt dass natürlich viele Frauen auch die strategischen und taktischen Spiele gerne Spiele, die ich eher Männern unterstelle (und umgekehrt), doch die meisten eben nicht. Männer und Frauen unterschiedlich zu behandeln ist damit nicht per se falsch.

Wichtig ist aus meiner Sicht die Reflektion: Man sollte sich bewusst sein, auf welch dünner Grundlage, nämlich der Wahrnehmung der wenigen sichtbaren Merkmale, man sein erstes Urteil bildet. Man (und das ist ganz bewusst mit einem 'n' geschrieben) sollte bereit sein, seine Einschätzung bei näherem Hinsehen, gewissermaßen mit dem Erlangen weiterer Informationen über die Person, zu revidieren. Wenn ich einem fremden, älteren Menschen einen technischen Sachverhalt erkläre und bemerke, dass dieser mir sehr gut und schnell folgen kann, dann ändere ich die Art des Erklärens und passe mich an. Dieser Mensch ist damit in dieser Hinsicht für mich auch nicht mehr so fremd, und ich gelange einen Schritt vom Vorurteil in Richtung Urteil.

Man sollte auch reflektieren, welches Verhalten man den anderen Menschen gegenüber an den Tag legt. Ich kann Vorurteile nicht prinzipiell aufheben, das widerspricht meiner Natur als Mensch und ich glaube keinem Menschen, der auch nur behauptet, in dieser Hinsicht Fortschritte zu machen. Ich kann aber mein Verhalten kontrollieren, kann mir eines Vorurteils bewusst werden und versuchen, trotzdem möglichst allen Menschen die gleiche Achtung entgegenzubringen. Das mache ich zum Beispiel, in dem ich auch bei einer Person, die in mir ein unangenehmes Gefühl erzeugt, bei der ein erster Reflex wäre, die Straßenseite zu wechseln, bewusst auf der Straßenseite bleibe. Oder indem ich einer Frau vielleicht bestimmte Verhaltensweisen am Steuer eines Autos im Geiste unterstelle, mich aber trotzdem davon abhalte, Hinweise auf eine bessere Fahrweise zu geben oder dergleichen.

Das ist nicht immer leicht und sicher gelingt es keinem perfekt. Mir bestimmt nicht. Und sicher bin ich auch, in einer gewissen Bedeutung des Wortes, sexistisch im Alltag. Denn natürlich (in der wahrsten Bedeutung dieses Wortes, nämlich auf Grund meiner Natur) versuche ich einer attraktiven Frau mehr zu gefallen als einem fremden Mann. Dieses Verhalten diskriminiert nicht nur den Mann, sondern auch weniger attraktive Frauen. Damit gebe ich einem begrenzten Kreis Menschen einen Bonus, den andere sich erst erarbeiten müssen. Wie sollte ich das aber ändern? Ich möchte nun mal keine besondere Aufmerksamkeit (und damit ist nichts sexuelles gemeint, dass über vielleicht einen harmloser Flirt und ein nettes Gespräch hinausgeht) von Männern oder unattraktiven oder unsympathischen Frauen, sondern von attraktiven und sympathischen, und das sind nun mal Eigenschaften, die ganz eng mit dem Äußeren verbunden sind, und damit essentiell Vorurteile. Da habe ich auch keine Lösung für.

Mein Fazit: @herrurbach und @acid23 verdienen Respekt dafür, dass sie über ihr eigenes Verhalten reflektieren und versuchen, an sich zu arbeiten. Ich glaube allerdings, dass sie ein wenig an der falschen Stelle ansetzen. Man hat das Gefühl, die beiden wollen ihre Gedanken ändern. Das wird ihnen nicht gelingen, da bin ich mir sicher. Mit viel Reflektion kann man aber sicher sein Verhalten in vielerlei Hinsicht anpassen, so dass die Wirkung von Vorurteilen stark abgeschwächt werden kann.


Nachtrag: Ich verwende das Wort "Vorurteil" im Rahmen dieses Textes nicht im Sinne eines dauerhaft vorhandenen Urteils über eine Gruppe mit einem bestimmten Merkmal. Ein solches Vorurteil gehört selbstverständlich dauerhaft bekämpft und abgeschafft und es zu akzeptieren hieße tatsächlich, Sexist, Rassist oder entsprechend des 'verurteilten' Merkmals ein anderer -ist zu sein. Ich verwende das Wort "Vorurteil" im Sinne eines Urteils gegenüber eines Angehörigen einer Gruppe mit einem bestimmten Merkmal , das vorübergehend Anwendung findet, bis man genaueres erfährt.
So habe ich @herrurbach und @acid23 auch verstanden, jedenfalls legen ihre gewählten Beispiele das nahe.