Sonntag, 27. November 2011

Guter Cop, Böser Cop?

Inzwischen werden die meisten Leser es schon gehört haben, ein Cop der U.C. Davis Police, Lt. John Pike, hat friedlich sitz-blockierende und parolen-skandierende Studenten mit lässiger Handbewegung und Miene, soweit man das in der Kampfmontur sehen kann, mit Pfefferspray ins Gesicht gesprüht.

Jetzt hat Anonymous angekündigt, den Polizisten wie ein Schwein quitschen zu lassen. "We'll make you squeal like a pig." Dabei wurden auch die Adresse, die Telefonnummern und weitere persönliche Daten von Pike veröffentlicht.


Die Tat ist verachtenswürdig. Es handelte sich nach allem, was man liest und sieht, um friedlichen zivilen Ungehorsam und es war zwar laut, aber die Studenten erschienen auf den Videos, die ich gesehen habe, friedlich und gewaltfrei. Sie haben irgendeinen Weg blockiert, ich glaube, zu einem Protestcamp, das geräumt werden soll. Ganz ehrlich, es sah geradezu aus, als könne die Polizei da einfach drumherumlaufen, denn die Sitzblockade war nur wenige Meter breit, soweit man das erkennen konnte.

Die ganze Pfefferspray Aktion erscheint mir also nicht nur menschenverachtend, unmoralisch und illegal, sondern auch unnütz. Tatsächlich erscheint Lt. Pike auf den Videos lässig und unbeteiligt, als er die Studenten einsprüht. Trotzdem habe ich einen üblen Geschmack im Mund, wenn ich mir die Reaktion von Anonymous anschaue. Die Veröffentlichung der privaten Adresse und weiterer Kontaktdaten zusammen mit schlagwortartigen Aufrufen werden mit Sicherheit von manchen Leuten als Aufruf zu Gewalt gegen den Polizisten verstanden.

Mir erscheint die Reaktion zu personenbezogen: Ja, dieser Polizist hat Pfefferspray benutzt und er gehört dafür angeklagt, aber seine Körperhaltung kann dabei nicht ins Urteil mit einfließen. Niemand weiß, was er in dem Moment gedacht hat. Vielleicht hat es ihn Überwindung gekostet, aber er hatte die Entscheidung getroffen und die zur Schau gestellte Gleichgültigkeit war seine Methode, seine Bedenken zu überwinden.

Welche Körperhaltung und welcher Gemütszustand ist denn beim derartiger Gewalt gegen Studenten akzeptabel? Ein grimmiger Blick, der Bereitschaft zu mehr Gewalt suggeriert? Tränen in den Augen wegen der Schmerzen? Ein neutraler Blick? Wut gar?

Werft dem Polizisten vor, dass er brutal war und unnötig Gewalt angewendet hat. Klagt ihn an, 'memed' ihn meinetwegen und macht ihn etwas lächerlich. Tut ihm aber nichts an und lasst es auch nicht so erscheinen, als würde Gewalt gegen ihn gut sein. Schon der Ansatz führt in eben jene Lage, in der sich die Polizei jetzt befindet. So sehr ich die Polizei inzwischen teilweise fürchte und verachte und ein mulmiges Gefühl habe, wenn bei einer Massenveranstaltung Einsatzwagen mit Dutzenden Polizisten in Kampfmontur bereitstehen, so sehr lehne ich jegliche Lynchjustiz ab und vertraue darauf, dass eine unabhängige und freie Justiz das Mittel der Wahl ist, um auch mit Polizeigewalt fertig zu werden. Das ist die Baustelle.

Montag, 7. November 2011

CDU-Linksruck: Gut für die Piraten. Und ein Aufruf!

Die CDU rückt gewaltig nach links. So sieht es zumindest aus. Die Einführung des Mindestlohns scheint beschlossene Sache. Der Atomausstieg ist mal wieder beschlossen worden. Die Wehrpflicht ist so gut wie abgeschafft.

Ich finde das gut, alle diese Punkte. Ich bin - wenn man mich in das Links-Rechts-Schema zwängt - irgendwo zwischen SPD und Linken, in der Nähe der Grünen - die aber ja selbst schon nicht so recht passen. Insofern ist es natürlich klasse, wenn die eigentlich eher rechte Regierung diese linken Programme erfüllt.

Ich bin aber seit neuestem - noch nicht ganz offiziell, wo bleibt bloß meine Mitgliedsnummer? - Pirat. Und ich finde, die Piraten lassen sich nicht in das Links-Rechts-Schema einordnen. Wenn man sie in die Schablone drückt, werden sie schon irgendwo links der Mitte herauskommen, nehme ich an, aber man wird auch merken: Sie passen da nicht rein. Und genau deshalb ist es richtig gut, wenn die CDU nach links rückt und von der SPD kaum noch unterschieden werden kann. Denn je schwammiger die großen VolksParteien sich untereinander profilieren, desto mehr hebt sich der Unterschied zwischen der CDU, der SPD und den Linken auf der einen Seite und den Piraten auf der anderen Seite ab: Die einen passen in das Schema, die anderen nicht. (Die Grünen habe ich bewusst außen vor gelassen.)

Es ist der Stil und der innerparteiliche Prozess, der den Unterschied ausmacht. Der Fraktionszwang, der Zwang zur Einigkeit nach außen.

Damit kommen wir aber zu einer großen Sorge, die ich habe: Ich höre in letzter Zeit oft, wie den Piraten vorgeworfen wird, sie hätten noch kein vollständiges Programm und keine Antwort auf einige wichtige Fragen. Oft antworten Piraten oder Freunde der Piraten dann, bis zur Bundestagswahl würde das Programm schon stehen oder zumindest größtenteils. Ich hielte das für falsch. Ich glaube, die Piraten fahren am Besten, wenn sie sich wenig Programm geben und jeden Punkt, der intern nicht von einer großen(!) Mehrheit beschlossen wird, einfach offen lassen.

Denn das Problem unseres Politiksystems ist meines Erachtens die Parteienpolitik, die sich im Fraktionszwang und in der Listenwahl äußert und so den Parteien die Werkzeuge in die Hand gibt, den eigentlich vom Bürger legitimierten Politiker unter Druck zu setzen. ("Wenn Du den Fraktionszwang nicht beachtest, fliegst Du in vier Jahren von der Liste.") Ich glaube, unsere Politik wäre sinnvoller, nachhaltiger und verantwortungsvoller, wenn die Abgeordneten in erster Linie ihrem Gewissen, ihrer eigenen Meinung verpflichtet wären. Das geht aber nur, wenn die Fraktion eben nicht in jeder wichtigen und unwichtigen Frage eine Fraktionslinie hat, die eingehalten werden muss.

Daher, liebe Piraten: Gebt Euch kein wenig Programm. Bleibt frei! Verpflichtet Euch nur, wenn eine wirklich große Mehrheit der Partei die Entscheidung mitträgt. Sollten wir hoffentlich irgendwann einmal koalieren: Keine Verpflichtungen im Koalitionsvertrag, außer bei den Punkten, bei denen schon Einigkeit besteht. Jede politische Entscheidung sollte im jeweiligen Parlament eine Mehrheit finden, ungeachtet der Meinung der Rädelsführer in den Fraktionen oder auch der Mehrheiten in den Fraktionen, denn in einem Parlament geht es um die Mehrheiten des ganzen Parlaments!

Steuersenkung - nein, danke!

Gerade lese ich in der Tageszeitung (jawohl, ich habe die noch handfest auf Papier abonniert), dass sich die große Koalition auf Steuersenkungen geeinigt habe. Gestern habe ich dazu bei einer kurzen Autofahrt ausschnittsweise einen Politiker, Partei unbekannt, gehört, der meinte, die Bundesländer müssten da mitmachen, sie stünden in einer Verpflichtung dem Bürger gegenüber, bei großen Einnahmen dem Bürger zu helfen.

Hier möchte ich widersprechen: Nein, tun sie nicht. Die Bundesländer und auch der Bund stehen in der Verpflichtung kurz-, mittel- und langfristig gute Politik zu machen und sie scheitern meines Erachtens schon beim kurzfristigen Teil. Nicht nur ist es verantwortungslos, ein so hoffnungslos verschuldetes Land wie Griechenland Deutschland nicht mit aller Kraft zu entschulden, wie man gerade an Spanien Portugal Italien Irland den USA Griechenland sieht, es ist sogar verboten. Die Schuldenbremse, von Merkel selbst als Vorlage für Europa und die Welt gelobt, schreibt wohl vor, dass alle konjunkturell bedingten Mehreinnamen des Staates direkt in die Schuldentilgung fließen müssen. Jede neue Ausgabe oder Steuersenkung dagegen muss durch Einsparungen an anderer Stelle oder Steuererhöhungen gegenfinanziert werden.

(Dass dieses ganze Konzept angesichts der Abhängigkeit der Einnahmen von der Konjunktur wackelig ist, sei hier nur mal so dahingestellt.)

Mit anderen Worten: Nicht nur verpasst die Koalition momentan die konjunkturell gegebene Chance, etwas die Schulden abzubauen und es damit für die nächste Generation etwas einfacher zu machen, sie verstößt auch noch gegen die Verfassung. Bravo!

Noch eine kleine Randbemerkung: Die Steuersenkung soll im Jahr 2013 bzw. 2014 greifen, also nach der Bundestagswahl. Damit sich die dann mutmaßlich andersfarbige Regierungskoalition vorwerfen lassen darf, Steuergelder nicht zur Schuldentilgung auszugeben.

Und noch eine Randbemerkung: Nicht eingehen werde ich in diesem Artikel auf die gerechte Verteilung der Steuergeschenke und auf die Herdprämie das Erziehungsgeld. Aber auch nicht auf den geplanten Mindestlohn.

Letzte Randbemerkung: Ich war wirklich überrascht: Der General Anzeiger Bonn kritisierte in einem Kommentar nicht etwa die Ankündigung der SPD, gegen die Steuerkürzungen notfalls zu klagen, sondern verteidigte dieses Recht der SPD sogar. Diesmal ein ernstgemeintes: Bravo!